"End of the road"
Im Februar 2010 führte mich eine Geschäftsreise nach Shenzhen, das war zugleich mein erster Aufenthalt in China. Damals hat mir jemand erzählt, dass China - bei einem ähnlichen Grad an individueller Mobilität wie in Europa oder gar in den USA - dreimal so viel Erdöl in Verbrennungsmotoren verfeuern würde, wie damals auf der ganzen Welt verbraucht wurde. Ich weiß übrigens nicht, ob diese Aussage annähernd zutreffend war/ist, aber die Vorstellung alleine hat mich sehr beeindruckt.
Wenige Monate später lernte ich Peking kennen. In der gewaltig großen, pulsierenden Hauptstadt Chinas habe ich erlebt, was es bedeutet, wenn nichts mehr geht. Oder besser gesagt: nichts mehr fährt. Im täglichen luftverpestenden Verkehrskollaps erkannte ich deutlich die Grenzen der Individualmotorisierung. Dabei eröffneten Volkswagen, Mercedes-Benz, Hyundai und andere Hersteller zu dieser Zeit im Wochenrhythmus Fabriken im Umland von Peking, um noch mehr benzinbetriebene Autos auf die neuen, hochmodernen Straßen des ganzen Landes zu bringen.
Es sollte noch einige Jahre dauern, bis mir klar wurde, dass diese zwei Probleme auch in Europa längst Hand in Hand gehen: Verschmutzung (i.W. Abgase, Lärm) und Platzmangel. Mir dämmerte, dass es nicht nur Antriebstechnologien braucht, die Emissionen vermeiden. Es kommt auch auf die bessere Nutzung verfügbarer Verkehrsmittel an.
Seit Mitte der 2010er Jahre wurde vieles angestoßen: Das Angebot an Elektrofahrzeugen wird bunter, attraktiver und bezahlbarer, Ladeinfrastruktur wird errichtet, während in ganz Europa regional, national und länderübergreifend an der Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs gearbeitet wird. Sogar Deutschland bekommt sein 49-Euro-Ticket!
Elektrisches Licht und Schatten
Denn die gute Nachricht auf unseren Straßen ist: Elektromobilität (auf der Schiene längst "State-of-the-art") leistet einen wichtigen Beitrag, um die Luft, die wir atmen, sauber zu halten. Darum heißt es ja "lokal emissionsfrei". Dabei ist Elektromobilität im Jahr 2023 immer noch eine echte Zumutung. Mein geschätzter Kollege Niki hat völlig Recht: Wenn Du Dir mit dem schmutzig-nassen Ladekabel, das Du an einen 140.000 EUR teuren Taycan (genauso wie an einen 20.000 EUR teuren Mini) anschließt, ständig die Hose schmutzig machst, ist die Geschichte mit dem Strom fürs Auto wohl noch nicht zu Ende gedacht.
Trotzdem gibt es ausreichend Daten, die zeigen, dass Elektrofahrzeuge - selbst unter Berücksichtigung des europäischen Strommix - über ihre Lebensdauer deutlich weniger CO2 Emissionen (stellvertretend für alle Ausstöße) verursachen als im Kundennutzen gleichwertige Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. "Deep-dive" gefällig? Voila: https://www.auto-motor-und-sport.de/tech-zukunft/alternative-antriebe/volvo-xc40-und-c40-recharge-life-cycle-analyse-e-auto-ist-co2-aermer/. Gerade dem Automobilhandel kommt in dieser Transformation eine herausragende Rolle zu, Kunden für die Elektromobilität zu begeistern und gleichzeitig objektiv zu beraten, sprich: Anwendungsfälle zu erkennen, die mit heute käuflicher Technologie bereits durch batterieelektrische Fahrzeuge abgedeckt werden können. Umgekehrt ist der batterieelektrische Antrieb noch nicht in einem Entwicklungsstand angekommen, dass alle fossil betriebene Fahrzeuge "von heute auf morgen" ausgetauscht werden können. Immerhin stehen wir bei ca. 95 % aller mit PKWs zurückgelegten Fahrten …
Wasserstoff - eine Alternative?
Auch nach zwanzig Jahren beruflicher Auseinandersetzung mit sogenannten alternativen Antrieben bleibt meine Glaskugel übrigens zu trüb, um vorauszusagen, ob bzw. in welchen Bereichen sich der Brennstoffzellenantrieb (letztlich eine hybride Technologie mit H2 Tanks zur Reichweitenverlängerung eines Elektrofahrzeugs) technisch, kommerziell und ökologisch durchsetzen kann. Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass Vielfalt und Wettbewerb das Rennen um den Antrieb von morgen beschleunigen.
Herausforderungen im elektrifizierten Verkehr
Ein weiterer Aspekt ist der Ressourcenverbrauch: Egal ob kostbare Metalle oder ebenso kostbarer Strom aufgewandt werden, um Fahrzeuge zu produzieren und zu betreiben, müssen wir (Hersteller, Händler, Käufer) darauf schauen, dass immer mehr nachwachsende Rohstoffe, wiederverwertbare Materialen und eben erneuerbare Energieträger eingesetzt werden. Und dass Batterien länger im Einsatz bleiben als die Fahrzeuge, die sie in ihrem ersten Leben vorwärtsbringen.
Also alles elektrisch? So viel ist klar: Wir werden unseren Kindern keine lebenswertere Welt hinterlassen, wenn wir alle batterieelektrisch im Stau stehen. Durchschnittlich 1,1 Personen bewegt ein PKW, der heute auf der Südosttangente durch Wien (oder auf der Mühlkreisautobahn durch Linz) fährt. Dazu kommt der - sagen wir - originelle Fahrstil, den wir Selbstfahrer pflegen.
Damit die Wende hin zu mehr Sicherheit, weniger Ressourcenverbrauch, mehr Komfort und weniger (sozialen) Kosten gelingt und damit wir alle die Basis dafür legen, dass nicht nur der globale Norden Wohlstand und Freiheit durch Mobilität schaffen kann, braucht es vor allem digitale Angebote. Und der Raum an Lösungen ist durchaus verlockend.
Mobilität anders denken
Ich stelle mir das so vor: An einem verregneten Montag werde ich um 08:07 dank meines digitalen Assistenten von einem "On-demand shuttle" vor der Haustüre (sagen wir, in Perchtoldsdorf) abgeholt. Es chauffiert mich zusammen mit ein paar freundlichen Zeitgenossen aus meiner Nachbarschaft autonom zum nächsten Bahnhof (wie wäre es mit Liesing?). Dort steige ich in den Regionalzug um, in dem ein reservierter Sitzplatz auf mich wartet. Vor dem Zielbahnhof (Wien Mitte zum Beispiel) parkt sich ein Elektrofahrzeug ein, in dem mich Arbeitskollegen willkommen heißen, mit denen ich mir an meinen Präsenztagen im Büro die letzte Meile zum Arbeitsort teile. Ach ja, rund um mein Büro (im Dritten) gibt es inzwischen überall Begegnungszonen. Die heißen jetzt anders, um der funktionierenden Koexistenz von Menschen und Verkehrsmitteln die ideologische Schärfe zu nehmen ...
Die abendliche Heimfahrt funktioniert genauso "seamless", allerdings mit dem Unterschied, dass ich die letzte Etappe mit einem Leihfahrrad zurücklege, da mein elektronischer Begleiter mir ein paar Kilometer echten Selbstfahrens zum Tagesausklang empfohlen hat. Für 199 Euro im Monat abonniere ich "all-inclusive" multimodales Reisen nach Bedarf, bekomme Angebote für die Verpflegung unterwegs, kann Zeitungen lesen oder mich auf der Reise unterhalten lassen. Produkte, die ich online bestellt habe, werden natürlich erst zugestellt, wenn ich daheim bin. Es wäre ja gelacht, wenn bei so viel "Green convenience" noch Pakete über Zäune geworfen werden oder zweimal angeliefert werden müssen.
Wunschdenken? Nein! Genau solche Angebote wird es brauchen, um auf der ganzen motorisierten Welt die Nachfrage nach nachhaltigen Verkehrslösungen zu stimulieren. Es wird auch staatlicher Eingriffe in Form von Geboten, Verboten, Steuern und Subventionen bedürfen, um den Mobilitätsmarkt in die richtige - also lokal emissionsfreie und platzsparende - Richtung zu lenken. Doch das Rennen um den Erhalt einer lebenswerten Erde gewinnen wir nicht per Gesetz, sondern mit andauernder Neugier, mit überzeugenden Ideen und mit einem optimistischen Blick auf die Zukunft. Auch das habe ich in Shenzhen lernen dürfen.