Es fällt mir in diesen Tagen nicht leicht, mir über Gemeindepolitik den Kopf zu zerbrechen. Macht es überhaupt Sinn, sich mit den Problemen bei der Einführung einer Kurzparkzone auseinanderzusetzen oder über die quälend langsame Umsetzung kleinster Maßnahmen für eine fahrradfreundliche Gestaltung unserer Gemeinde nachzudenken, wenn ein europäisches Land vom aggressiven Nachbarn überfallen wird? Darf man seine Energie für Verbesserungen des Beschaffungswesens und die Lösung vergleichsweise winziger Finanzprobleme unseres Ortes einsetzen, wenn Millionen von Europäern durch einen kriegslüsternen, abgehobenen Autokraten, der nicht einmal vor der Drohung mit Atomwaffen zurückschreckt, zu Flüchtlingen gemacht werden?
Die Ereignisse in unserer unmittelbaren Nachbarschaft – Kiew ist gerade einmal 500km Luftlinie von uns entfernt, genauso weit wie Brüssel – dürfen uns nicht kalt lassen. Die Westukraine ist uns kulturell und geschichtlich so nahe und verbunden, dass wir Putins Aggression durchaus als Aggression gegen uns selbst empfinden dürfen. Die Lehre daraus kann nur heißen, dass es eine starke Zivilgesellschaft und demokratische Strukturen bis in die kleinsten Verästelungen unserer Gesellschaft braucht. Und damit schließt sich für mich der Kreis, denn Zivilgesellschaft und Demokratie beginnen in der Gemeinde.
In der Gemeinde können wir die Strukturen überblicken und konkret etwas ändern – wenn wir uns engagieren und für unsere Ziele eintreten. Ja, es ist mühsam und erinnert manchmal an einen Kampf gegen Windmühlen, wenn man erlebt, welche Steine überkommene Strukturen und Vorschriften einem dabei in den Weg legen. Aktuell erlebe ich das gerade beim „Wiederbeleben“ des bescheidenen Maßnahmenkatalogs, mit dem wir NEOS Perchtoldsdorf fahrradfreundlicher machen wollen. Von den 23 Maßnahmen, die wir letztes Frühjahr aufgezeigt haben und die mit geringem finanziellen Aufwand umsetzbar sind, ist gerade einmal ein Drittel bis heute umgesetzt. Bei den anderen ist es einmal „die BH“, dann wieder „das Land“ oder irgendetwas „Dringendes“, warum nichts weitergeht. Bitte nicht falsch verstehen, das ist keine Kritik an denen, die in der Verwaltung mit der Umsetzung befasst sind. Es ist eine Kritik am System, das uns auf Gemeindeebene behindert, unsere Entscheidungen selbst und mit lokalem Sachverstand zu treffen. Was können wir tun, um das zu ändern? Einfache Antwort: die Missstände klar benennen und uns auf der jeweiligen politischen Ebene dafür einsetzen, dass vernünftige Rahmenbedingungen geschaffen werden. Konkret geht es dabei um die Straßenverkehrsordnung, die schlicht und einfach vom Mief der 60er-Jahre und der einseitigen Ausrichtung auf das Auto befreit gehört.
Der Schlüssel zur Lösung wichtiger Mobilitätsthemen für unsere Gemeinden liegt in der Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen, die uns daran hindern, Dorfbegegnungszonen, radfahrerfreundliche Kreuzungslösungen oder auch nur Tempokontrollen an gefährlichen Stellen im Ortsgebiet durchzuführen. Diese Punkte anzusprechen und daran zu arbeiten, die Voraussetzungen für sinnvolle Lösungen zu schaffen, sehen wir NEOS als eine unserer wesentlichen Aufgaben an. Unser Erfolg: endlich hat sich die Gemeinde dazu durchgerungen, im Verkehrsministerium anzufragen, wie man einen Versuch „Dorfbegegnungszone“ umsetzen könnte. Mehr als ein Jahr „Anlauf“ waren dafür notwendig – aber jetzt bewegt sich etwas. Es geht halt nicht von heute auf morgen und es erfordert klare Vorstellungen über die Ziele und einen langen Atem, diese zu erreichen. Ja, das ist schwieriger zu bewerkstelligen, als mit dem Rad dreimal den Kreisverkehr zu umrunden und dabei Forderungen aufzustellen. Aber dafür ist es nachhaltiger und bewegt mehr.
Die zweite Erfolgsstory, die uns Energie gibt: Seit gut einem Jahr treten wir für eine Section Control auf der A21 und Tempo 60 für LKW auf dem Abschnitt von Vösendorf bis Gießhübl ein. Vor einem Jahr haben uns die damals Verantwortlichen belächelt und zu Fantasten erklärt. Zwei dringliche Anträge im Gemeinderat später ist das Thema für alle BürgermeisterInnen der Region ein wichtiges Anliegen und auch unser Altbürgermeister ist in seiner Rolle als Landtagsabgeordneter mittlerweile zum vehementen Befürworter unserer Forderungen geworden. Ist halt einfacher, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, als ihn in Gang zu bringen. In diesen Tagen wird die Petition an Bundesministerin Gewessler übergeben. Schauen wir einmal, ob sie bei diesem Thema auch so entschlossen ist, wie beim Lobautunnel. Der Erfolg hat wie immer viele Väter und Mütter. Wir freuen uns, das Thema ins Rollen gebracht zu haben.
In diesem Sinne: auch wenn die Weltpolitik einen gerade verzweifeln lässt – Einsatz auf Gemeindeebene lohnt sich und stärkt uns als Zivilgesellschaft.
Haben Sie ein Thema, für das Sie „brennen“ oder das Sie schon lange einmal „angehen“ wollen?
Das wären doch gute Gründe, einmal mit uns darüber zu sprechen. Wenn Ihnen unsere Herangehensweise gefällt und Sie der Überzeugung sind, dass nur dann etwas weitergeht, wenn man vom Reden ins Tun kommt, haben wir sicher etwas gemeinsam. Gemeindepolitik ist Sachpolitik und lebt davon, dass wir als BürgerInnen uns einbringen.
Tony Platt ist Gemeinderat der NEOS in Perchtoldsdorf.