NEOS Brunn (NB): Frau Dr. Krisper, Sie haben wichtige Arbeit in internationalen Organisationen, der Volksanwaltschaft und am Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte geleistet und sind seit 2017 Nationalratsabgeordnete.
Was hat Sie dazu bewogen, in die Politik zu gehen?
Stephanie Krisper (SK): Ich habe sehr engagiert im Bereich der Menschenrechte gearbeitet. Durch meine ehrenamtliche Arbeit für NEOS habe ich gemerkt, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eine klare Richtschnur für die Organisation sind und ich mich nie verbiegen müsste. Weil es immer willkommen war, wenn ich mich für die Menschenrechte und den Rechtsstaat stark machte, habe ich mich bei den internen Wahlen beworben. Und offenbar sind diese Themen vielen Menschen wichtig, weil jetzt darf ich mich im österreichischen Nationalrat dafür einsetzen.
NB: Und wie geht es Ihnen heute mit dieser Entscheidung?
SK: Sehr gut, weil ich aktiv gegen Missstände und für Verbesserungen der aktuellen Situation arbeiten kann. Wobei es für mich als Bürgerin erfreulicher wäre, konstruktiv mit der Regierung im Sinne des Landes zu arbeiten, anstatt in Korruptionssümpfen zu staken und zu versuchen diese trockenzulegen. Aber diese Arbeit braucht es, um ein festes Fundament zu haben, auf dem man konstruktive Politik machen kann.
NB: Woran arbeiten Sie derzeit vor allem?
SK: Natürlich setze ich mich weiterhin für Menschrechte ein, damit die Zustände nicht noch weiter erodieren. Zum Beispiel, dass Härtefälle vernünftig und mit Herz behandelt werden, dass Abschiebung von in Österreich geboren Kindern oder bestens integrierten Lehrlingen in Mangelberufen, die dringend gebraucht werden, vermieden werden. Im Sinne des aktuell Notwendigen arbeite ich derzeit aber auch sehr viel für den Untersuchungsausschuss, um frühere Korruption aufzuzeigen. Das ist nötig, um die Situation für die Zukunft zu verbessern. Damit wir in einem Land leben, wo zählt was man kann, nicht wen man kennt, insbesondere in der ÖVP.
NB: Sie sind NEOS-Fraktionsführerin im Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung.
Viele Menschen fragen sich, was der sogenannte Ibiza-U-Ausschuss bringt?
Was ist Ihre Meinung dazu?
SK: Ich kann verstehen, dass man sich als gelernter Österreicher diese Frage stellt. Aber nur weil Freunderlwirtschaft und Postenschacher sich im Kleid einer türkisen Familie wiederholen, wie schon so oft in diesem Land, ist es ungerecht, dass weiterhin jene Menschen und Unternehmen Vorteile genießen, die den jeweils Mächtigen nahestehen. Dass es mehr zählt, wen man kennt, als was man kann, schadet dem Land. Damit werde ich mich nicht abfinden und ich tue mein Bestes, um die Situation für die Zukunft zu verbessern, damit künftig Leistung und Qualifikation zählen.
NB: Bleibt die Frage, ob die Arbeit des Untersuchungsausschusses aufschlussreich sein kann?
SK: In der Regierung Kurz 1, mit der FPÖ, war Nepotismus so offensichtlich ausgeprägt, dass man es selbst unter den schwierigen Rahmenbedingungen dieses Untersuchungsausschusses sehr klar herausarbeiten kann. Beispielsweise hat der jetzige Finanzminister Blümel dutzende Male angegeben sich nicht erinnern zu können. Das war offenbar die bessere Strategie, als Missstände zuzugeben. Auskunftspersonen können sich leisten nichts zu sagen bzw. sich nicht zu erinnern, weil wir derzeit nur über wenige Dokumente verfügen, die wir ihnen vorhalten können, wie zum Beispiel Kalendereinträge oder Korrespondenzen. Unter der Regierung Kurz 1 wurden brisante Informationen nicht dokumentiert oder gelöscht. Beides nährt den Verdacht, dass nicht seriös agiert wurde, sondern so, wie man es aus den wiederhergestellten Chat-Protokollen des jetzigen ÖBAG-Vorstands Thomas Schmid entnehmen kann: dass plump und frech höchstdotiere und verantwortungsvolle Posten innerhalb der türkisen Familie verschachert wurden. Wir kommen der Sache trotz umfassender Vertuschungsversuche immer näher.
Wenn diese Erkenntnisse keine Konsequenzen haben, liegt es nicht am Mangel an Erkenntnissen im U-Ausschusses, sondern an den handelnden Personen und Verantwortlichen in den betroffenen Parteien, welche sich nicht an den eigenen Ansprüche messen und daher zurücktreten bzw. Konsequenzen ziehen. Doch die Wählerinnen und Wähler werden sich hoffentlich erinnern und anderen ihr Vertrauen schenken, die nicht für den eigenen Vorteil arbeiten und ihre Macht nicht zum eigenen Vorteil missbraucht haben.
NB: Gibt es etwas, dass sich ändern sollte, damit Untersuchungsausschüsse künftig besser arbeiten können?
SK: Ja. Vor allem sollten Untersuchungsausschüsse öffentlich sein, damit die Menschen mit eigenen Augen sehen können, wie oft Auskunftspersonen angeben sich nicht erinnern zu können, oder wie destruktiv gegenüber Aufklärungsversuchen sich manche Parlamentarier verhalten. Und auch, wie der Vorsitzende agiert. Es ist wohl kein Zufall, dass alle Parteien für öffentliche Untersuchungsausschüsse sind außer der ÖVP, die ihre finanzielle und politische Macht nutzt, um die Medienberichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen. So bekommen die Menschen nicht die Realität zu sehen, sondern den mit Steuergeld bezahlten ÖVP-Spin.
NB: Waren Sie überrascht, wie stark die Verstrickung zwischen Politik, Verwaltung, Justiz und Teilen der Wirtschaft sind?
SK: Jein. Überrascht hat mich, wie sehr es ein geschlossener Kreis ist, wo immer dieselben wenigen profitieren und sich gegenseitig hinaufheben und sich Vorteile zuschanzen.
NB: Ist das Teil der österreichischen Realität, die man akzeptieren muss?
SK: Nein, die ersten Erfolge unserer Arbeit zeigen sich schon und wir bleiben dran. Wie eingangs gesagt. Wir wollen es erreichen, dass auch im staatsnahen Umfeld entscheidend ist, was man kann, nicht wen man kennt.
NB: Die zahlreichen Skandale zerstören den Ruf von Poltiker_innen noch weiter. Was müsste sich ändern, damit die Bürger_innen der Arbeit von Politiker_innen wieder mehr Vertrauen können?
SK: Jede Politikerin und jeder Politiker soll vor der eigenen Türe kehren und sich als Einzelperson bemühen, es so gut wie möglich zu machen. Wo NEOS die Chance haben zu regieren, sollen die Menschen kritisch beobachten. Ich bin überzeugt, dass unsere Art Politik für die Menschen zu machen, erfolgreich sein wird und auch das Vertrauen in die politische Arbeit zurückbringt.
NB: Wie schätzen Sie die Situation der Demokratie in Österreich derzeit ein?
SK: Wie immer und überall müssen die Demokratie und der Rechtsstaat auch in Österreich aktiv geschützt werden. Das zeigen etwa die Angriffe der ÖVP auf die Justiz, wegen laufender Ermittlungen gegen die Ihren. Beachtlich ist auch der Einfluss der Politik auf Medien, über unsachliche Förderkriterien, bezahlte Anzeigen und auch indirekte und direkte Drohungen. Aus gutem Grund werden freie Medien als die vierte Macht im Staat bezeichnet, die es zu schützen gilt. Daher setzen wir uns für die Unabhängigkeit der Justiz, freie Medien sowie ein starkes Parlament ein.
NB: Kommen wir zum Thema Asyl und Menschenrechte.
Sie setzen sich dafür ein, besonders notleidende Kinder und Familien aus den griechischen Insellagern zu retten. Hat Österreich nicht schon genug getan?
SK: Ja, Österreich hat für Menschen auf der Flucht, insbesondere in den Jahren 2015/16, viel gemacht. Was die Situation in den griechischen Insellagern betrifft, kann der Beitrag lediglich als pseudo bezeichnet werden. In die paar Zelte, die mit österreichischer Unterstützung aufgestellt wurden, knabbern Ratten Löcher. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass tatsächlich geholfen wird, und zumindest 100 der notleidendsten Menschen, denen bereits Asyl gewährt wurde, die also echte Flüchtlinge sind, nach Österreich kommen können. Viele MitbürgerInnen wollen konkret helfen und man müsste dies nur zulassen. Warum nicht?
NB: Und was braucht es seitens der Politik?
SK: Es wäre wichtig, sich überall in der EU für menschenwürdige Zustände und faire, rasche Verfahren einzusetzen, damit die Verfahrenslast aufgeteilt werden kann. Es hilft nicht wegzuschauen, wenn die Zustände in manchen EU-Ländern unmenschlich sind, weil das nicht nur Leid für die betroffenen Menschen bedeutet, sondern auch dazu führt, dass in diesen Ländern die Asylverfahren nicht funktionieren. Allein deswegen sollte sich Minister Nehammer dafür einsetzen, falls Menschlichkeit kein überzeugendes Argument für ihn ist.